Neutralität ist kein Mythos – sondern Pflicht
Wenn die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) öffentlich erklärt, Lehrkräfte müssten „nicht neutral sein“, stellt sie damit ein zentrales Fundament unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats infrage. Wer Neutralität als überholtes Konzept abtut, untergräbt das Vertrauen in staatliche Institutionen und schadet letztlich der demokratischen Bildung, die er zu schützen vorgibt.
In den vergangenen Wochen wurde das sogenannte Neutralitätsgebot vermehrt relativiert. Mal wird es als Mythos bezeichnet, mal als missverstandenes Relikt aus vergangenen Zeiten. Die Junge Union Gelsenkirchen hält dem entschieden entgegen: Die Neutralitätspflicht im öffentlichen Dienst ist keine bloße Auslegungssache, sondern eine gesetzlich verankerte Verpflichtung.
§ 33 Absatz 1 des Beamtenstatusgesetzes formuliert eindeutig: Beamte haben ihre Aufgaben „unparteiisch und gerecht“ zu erfüllen und „dem ganzen Volk“ zu dienen – nicht bestimmten politischen Strömungen oder persönlichen Überzeugungen. Wer in amtlicher Funktion handelt, hat sich der parteipolitischen Zurückhaltung zu verpflichten. Punkt.
Selbstverständlich gehört es zum Bildungsauftrag, demokratische Werte zu vermitteln. Aber es ist ein erheblicher Unterschied, ob man demokratische Prinzipien erklärt – oder ob persönliche politische Meinungen in den Unterricht einfließen. Einseitige Einflussnahme, ganz gleich aus welcher politischen Richtung, widerspricht der Rolle von Lehrkräften als staatlich Beauftragte zur Vermittlung von Bildung und Urteilskraft.
Zugleich möchten wir klarstellen: Das gesellschaftliche Engagement vieler Lehrkräfte in demokratischen Parteien verdient Respekt. Es ist Ausdruck gelebter Demokratie und stärkt das politische Gemeinwesen. Entscheidend ist jedoch, dass das Klassenzimmer kein Ort parteipolitischer Positionierung ist, sondern ein Raum, in dem politische Mündigkeit wachsen kann.
Im Schulalltag bedeutet das: Schülerinnen und Schüler müssen lernen, unterschiedliche Meinungen einzuordnen, kritisch zu hinterfragen und eigene Standpunkte zu entwickeln. Dazu gehört, dass auch kontroverse und unangenehme Themen zur Sprache kommen dürfen. Demokratische Urteilsfähigkeit entsteht nicht im Konsens, sondern im offenen Streit um das bessere Argument. Die Spielregeln unserer Demokratie bilden hierfür den unverzichtbaren Rahmen.
Wir appellieren daher an alle Verantwortlichen im Bildungswesen, die Neutralitätspflicht nicht als Einschränkung, sondern als zentrale Voraussetzung politischer Bildung zu begreifen. Das Klassenzimmer sollte ein Ort sein, in dem geistige Offenheit, Meinungsvielfalt und gegenseitiger Respekt im Mittelpunkt stehen. Nur so werden junge Menschen in die Lage versetzt, zu mündigen Bürgern einer pluralistischen Gesellschaft heranzuwachsen.
Gerade in Zeiten zunehmender Polarisierung ist politische Bildung wichtiger denn je – aber sie muss neutral sein. Nicht im Sinne von Gleichgültigkeit, sondern im Sinne von Unparteilichkeit. Es braucht Haltung statt Agenda.
Neutralität ist kein Mythos. Sie ist Pflicht.
Jan-Lukas Kirchhoff